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Jan Christophersen: Ein anständiger Mensch

Donnerstag, 1. August 2019 - in Rezensionen-Belletristik

Jan Christophersen, Ein anständiger Mensch, Belletristik, Rezension, Buchempfehlung, Lesetipp, Anstand, Moral, Selbstbeherrschung, kriminelle Energie

Der studierte Philosoph Steen Friis zieht sich gerne immer wieder eine Zeit lang auf die Insel zurück. Hier, in seinem abgelegenen dänischen Ferienhaus, kann er die Natur genießen, ungestört nachdenken und Bücher schreiben. Es ist eher eine Ausnahme, dass er nun ein Wochenende mit seiner Frau Frauke und einem befreundeten Paar, Ute und Gero, dort verbringt. Es könnte mit belanglosen Gesprächen, Pilze sammeln und gemeinsamem Essen einfach so vergehen. Aber Frauke erinnert ihn daran, dass sie sich einst versprochen haben, sich bestimmte Freiheiten zuzugestehen. Wie es scheint, hat sie es auf Utes Freund Gero abgesehen. Für Steen ist dieses Versprechen längst nicht mehr relevant, er will Frauke für sich haben. Und überhaupt, da predigt er in seinen Büchern und Interviews von Anstand und Moral und jetzt das! Gero gerät in einen Gewissenskonflikt und versucht, das nach außen hin zu verbergen. Seine Fantasie schlägt unterdessen Purzelbäumen und er muss entdecken, welche kriminelle Energie da in ihm steckt. Und obwohl er nicht wirklich etwas tut, kommt es zu einem tragischen Ereignis. Die Schuld liegt trotzdem bei ihm. Ganz allein bei ihm! Oder nicht?


Steen Friis hält sich für einen anständigen Menschen. Seine Haltung zum Weltgeschehen scheint die richtige zu sein. Seine Meinung ist gefragt. Man orientiert sich daran. Doch in Stein gemeißelt ist hier nichts, auch wenn Steen Friis glaubt, standhaft zu sein. Dass er mörderische Fantasien entwickeln kann, zeigt einer seiner Romane. Doch niemand soll von seiner anderen Seite wissen. Deshalb hat er diesen Krimi unter Pseudonym verfasst. Aber es ist, wie es ist. Eine unerschütterliche Selbstsicherheit zu zeigen, wird immer schwieriger für Steen. Er kann sich kaum beherrschen. Der Autor lässt immer mehr Szenen einfließen, die das sehr anschaulich zeigen. Da der Roman aus der Sicht Steens geschrieben ist, wissen davon nur Steen selbst und der Leser. Es wird zunehmend spannender! Doch dann kommt ein krasser Schnitt. Und jetzt geht es nicht mehr nur um innere Verwicklungen. Die eigentliche Geschichte driftet ab und geht einen anderen Weg. Mit den Gedanken, die der Autor gesät hat, muss man sich nun alleine auseinandersetzen. Viele Fragen bleiben offen. Ich habe mich dennoch gut unterhalten gefühlt.

Rezension von Heike Rau

Jan Christophersen
Ein anständiger Mensch
352 Seiten, gebunden
mare Verlag
ISBN-13: 978-3866486072